Chronik der Stadt Bad Belzig


1935-1945


Vorwort


Titelbild Chronik Belzig Als eine Schülerin der sechsten Klasse der Geschwister-Scholl-Grundschule uns nach Lesestoff zum Lager Roederhof fragte, begleitete sie die Frage mit der Bemerkung: ,,Ich will endlich wissen, was hier geschehen ist und was sich in Belzig in Kriegszeiten alles zugetragen hat. Alle reden so geheimnisvoll darüber." Gute Frage.

Ja, was wissen Wir? Einige Freunde meinten, warum belastet ihr 80-jährigen euch damit, will man das Wirklich heute noch wissen?
Ja, warum? Dafür gibt es mehrere Gründe.

Wir sind in die Zeit hineingeboren (Günter 1932, Helga 1935), haben noch verschwommene Bilder darüber, wie unsere Eltern uns durchgebracht haben. Günters Vater ist bei Kämpfen an der Ostfront gefallen, Helgas stand an der inneren Front. Im Ersten Weltkrieg hatte er einen Lungendurchschuss und blieb nun an einer Funktion im Nazistaate hängen. Von all dem haben wir unseren Kindern kaum etwas erzählt, um sie nicht mit unserer Vergangenheit zu belasten.
Doch nun reden wir üer die Kriegsjahre und unsere Beobachtungen und wünschen sehnlichst, dass die Kriege in der Welt endlich aufhören.

Wir entschlossen uns zum Zeitungsstudium, um die Informationen von damals zu erfassen. Die Zeitungen darüber waren nur noch im Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek in Berlin-Westhafen einzusehen. Das erschwerte unsere Arbeit. Vier Bände gab es in jedem Jahr, in jedem Band drei Monate Zeitgeschichte zusammengefasst. Wir konnten nur das für Belzig herausfiltern, was man damals den Belzigern mitgeteilt hatte. Das war nicht die volle Realität - nur gefilterte systembezogene Wahrheiten und Teilwahrheiten. Die Jahrgänge waren auch in Berlin nicht vollständig. Vom Jahr 1938 fehlte der dritte Band, also die Zeitungen von August bis September, von 1942 fehlten Band 3 und 4. 1943 wurde die Zeitung schon ab 1. April eingestellt. Auf dem Foto sind die Bände zu sehen, die wir nach Informationen über Belzig durchsuchen konnten. Überwiegend wurden die Mitteilungen wörtlich aus dem Kreisblatt entnommen, also im Stil der Euphorie jener Zeit, mit den Neuwörtern und Phrasen, Losungen und Befehlen. Mancher Befehl trug zur Normalität des Alltags bei, in dem Wissenserwerb, körperliche Ertüchtigung und kulturelle Erlebnisse an der Tagesordnung waren. Es ist aber nicht zu übersehen, dass mit dem Krieg unvermeidbar die Zerstörung Deutschlands vorbereitet wird. Die Aussagen zur Machtstabilisierung Hitlers, seine Expansionspolitik und die Kriegsvorbereitungen im gesamten Land waren nicht Thema dieser chronologischen Sammlung. Das ist in einer Reihe von Veröffentlichungen bereits ausführlich beschrieben. Hier stand das Geschehen in und um Belzig im Mittelpunkt. Mit zahlreichen Verordnungen wird auch hier vor allem die Wirtschaft mehr und mehr kontrolliert und beein?usst. In dieser Zeitungsscheinwelt erfahren wir natürlich nicht, was die Menschen wirklich dachten, wie sie sich gegen die Situation au?ehnte, erfahren nichts über ihre Sorgen und Ängste, über Zweifel und Hoffnungslosigkeit. Mit dem eigenen Wissen über das unmenschliche System Nazi-Staat kann der Leser die Bewertung des Geschriebenen ohne weiteres selbst vornehmen, kann die Absichten der Verordnungen durchschauen und Gut und Böse auseinanderhalten.
Das Zeitungsstudium, so hoffen wir, wird den Jüngeren helfen, die Zeit etwas besser zu verstehen und den Älteren das Verhalten der Vorfahren erklären. Wir danken allen, die unsere Arbeit unterstützten: die Plauderrunde beim DRK und Belziger, die uns Mut machten, die Fotos und Andenken aus ihrem Familienarchiv zur Verfügung stellten. Wir danken Michael Geudert und Michael Schmitz für die großzügige Förderung des Drucks.

Helga und Günter Kästner im Dezember 2015